Wie eine ältere Dame in Jerusalem für Irritationen sorgte
Eine kleine Anekdote darf hier nicht unterschlagen werden: Es begab sich, dass Pascal und ich wieder zurück in Jerusalem waren. Es war Freitag. Am nächsten Tag war Shabbat, weswegen die Straßen wie ausgestorben waren. Nur orthodoxe Juden auf dem Weg aus der Synagoge und Araber waren zu dieser Zeit auf den Straßen unterwegs, weil die meisten grade dem Shabat-Dinner frönten. Das Stichwort hierzu lautet lukullische Genüsse.
Pascal und ich suchten grade nach einem Restaurant, als mir eine ältere Frau auf der Straße auffiel, weil sie uns beide anzustarren schien. Ich fühle mich aus irgendeinem Grund dazu bemüßigt, der Frau zu erklären, dass wir ein Restaurant suchen. Ihr Englisch scheint mehr schlecht als recht. Sie gestikuliert, zeigt auf ein Fenster im zweiten Stock, fuchtelt erneut wild und zeigt anschließend auf uns. Wir sind irritiert und erklären der Frau noch einmal, was wir wollen. Ihre darauf folgende Replik fällt exakt so aus, wie schon zuvor.
Nun meine ich zu verstehen, wir sollen ihr helfen einen eingeklemmten Fensterrerolladen zu öffnen. Wozu bräuchte sie sonst zwei junge Männer? Noch dazu um diese Uhrzeit. Sie wird uns ja wohl kaum überfallen wollen. Oder warten dann hinter der Straßenecke ihre muskulösen und skrupellosen Enkel, die Omi blindlings gehorchen und uns nach aller Kunst zusammenpetern werden. Oder ist die ältere Dame stärker als sie scheint und wird uns gar höchstselbst verwemsen?
Sie bedeutet uns ihr zu folgen, was wir dann auch tuen. Nach einer Weile finden wir uns in einem zappendusteren Treppenhaus wieder. Wir folgen der alten Dame in den dritten Stock. Wir gehen durch die offene Wohnungstür ins Innere einer mittelgroßen Etagenwohnung. Ich blicke bereits erwartungsvoll zu den Balkonfenstern, sehe aber kein Rollo! Nun betritt auch die (anscheinend) 40-jährige Tochter der Dame - samt Enkelsohn - das Zimmer. Was braucht sie uns, wenn ihre Tochter doch da ist? Rätsel über Rätsel.
Die Dame bittet uns in einen dunklen Raum. Das Licht brennt nicht und nur die Straßenbeleuchtung wirft einen schwachen Schein auf die Küche, soviel konnte ich erkennen. Was nun, frage ich mich? Doch die betagte Dame zeigt bloß energisch auf den Lichtschalter! Pascal scheint schneller zu begreifen, was los ist, und dreht den Lichtschalter auf vollen Anschlag. Die Dame nickt zufrieden und bedankt sich bei uns. Ich bin von dem Vorgang so irritiert, dass eine betagte Dame samt Tochter und Enkelsohn nicht in der Lage sind, einen Lichtschalter zu betätigen und daher die Dame dafür zwei junge Menschen von der Straße in ihr Haus bittet. Skurril. Kurios. Abstrus. Wo ist hier bitte die versteckte Kamera?
Erst beim Durchschreiten der Wohnungstürschwelle, durchzuckt mich ein Gedanke, der eine plausible Erklärung für diesen Vorgang liefert. Das irrationale Verhalten hat einen irrationalen Ursprung, der dem Leser bekannt sein mag. Da macht sich dann doch der kulturelle Unterschied auf konkreteste Weise bemerkbar, auch wenn sich Israel ansonsten recht ähnlich ausnimmt. Selbst mir der Erklärung im Kopf, erscheint mir der ganze Vorgang retrospektiv noch immer irrwitzig. Wer selbst nicht drauf kommt, dem sei dieser Link anempfohlen: Link