Nachdem uns Hamid schon mehrere Stunden herum führte nahmen wir nun auch physisch Abstand zu ihm. Er ging zum Beten in die Moschee und Pascal und ich erkundeten die Siedlungsgebiete. Als wir an den Grenzposten vorbeigehen, fragen diese bloß, woher wir den kämen. Als Pascal floskelhaft fragt, was sie denn hier täten, antworten diese lakonisch: “We are here to protect you!”. Keine Passkontrolle. Keine Befragung. Unsere Hautfarbe under Gesichtsphysiognomie sind unser Passierschein. Es ist komisch, so ziemlich alle Palästinenser, mit denen ich zuvor gesprochen habe, wären hier nicht durchgekommen. Ich bin mir nicht ganz sicher wie ich dieses Privileg genau bewerten kann. Die Soldaten sind nett und sind wie alle anderen auch Wehrdienstleistende vielleicht höchstens 19-jährige Jugendliche, die mit einer 40cm langen Maschinenpistole in voller Schutzmontur die Einfahrt zum Siedlungsgebiet bewachen.

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Wir betreten also das Siedlungsgebiet. Als erstes fällt auf, dass die Gebäude und Straßen in unmittelbarer Nähe zum palästinensischem Autonomiegebiet in einem heruntergekommenen Zustand sind. Es sieht ein wenig aus, wie in einer Geisterstadt. In Torbögen sind Betonklötze gestellt, welche den Zugang von außerhalb verhindern sollen. So wurde etwa ein Teilstück des Marktes abgeriegelt, um die Sicherheit der Grenze zu gewährleisten. Ich würde hier nicht wohnen wollen, allein schon aufgrund des ins Auge stechende Verfall. Viel Geld für Instandsetzung scheinen die Siedler nicht zu haben.

Doch man sieht vereinzelt junge Kinder herumstreunen. Wir gehen durch unbenutzte verfallene Hallen, die vielleicht früher einmal arabische Marktstände beherbergten. Nun ist dort lediglich Geröll und Schutt. Als wir das Camp wieder verlassen, sollte mir noch auffallen, dass auf diesen Hallen nun auch ein Wachturm war. Ich hatte dies gar nicht bemerkt, doch dort standen sie die ganze Zeit, Soldaten mit geladenen Waffen. Bereit im Notfall von ihnen Gebrauch zu machen. Ich muss unwillkürlich zurück an meinen Besuch der Klagemauer zurückdenken, wo ja bekanntlich ein unbewaffneter erschossen wurde, nachdem er Allah Wahgba rief und in seine Jackentasche griff. Wie kann man seine Kinder in so einer Umgebung aufwachsen lassen?

Wir schlendern noch eine Weile durch die Siedlung, deren Straßen mit Wachtürmen und Barrikaden gespickt ist. Wir folgen einer Straße bis zu einem Friedhof. Die arabischen Inschriften auf den Grabsteinen lassen erahnen, dass dies ein Friedhof der früher hier lebenden Araber gewesen seien muss.

Wir treffen auf einen jungen Mann, der grade aus einem Haus, welches direkt an der Grenze steht kommt und sprechen ihn an. Dieser gibt auch bereitwillig Auskunft, so erfahren wir, dass Aaron Musiker ist und grade für eine Familie gespielt hat. Er ist selbst jedoch auch Siedler. Ich frage ihn, wie er so leben kann, mit all den Waffen und dem ständigen Befürchten eines Angriffs. Er erklärt, dass er in einer Siedlung geboren wurde und es für ihn ganz normal sei. Als Pascal nachfragt, wie Aaron den Konflikt sieht, antwortet er ganz offen: “We were here 2000 years ago. Did you know that Jews used to live here and owned this markets, and then they were expelled? Our ancestors lived here and now we returned.”. Auch auf Stellen in Bibel und Thora verweist Aaron zur Begründung des Besitzanspruches. Zudem sei man mit dem Auto in sehr kurzer Zeit in Jerusalem, auch wenn Palästinenser zum Teil Autos mit Steinen bewürfen. Und er erzählt, dass den Palästinensern für die Häuser zum Teil immense Summen geboten werden, insbesondere in der Nähe zu Jerusalem. Einige Palästinenser leben nun in den USA, weil sie ihr Haus für enormen Erlös verkauft haben. Viele Palästinenser schlagen aber auch jegliches Kaufangebot, sei es noch so hoch, aus (Wie der Hausbesitzer, dessen Frau erschossen wurde). Und auf Nachfrage gibt Aaron uns seine Einschätzung der religiösen Ursachen des Konflikts: “Of course it’s also about religion. Islam and Judaism share a lot of sacred sites. Like here with the grave of Abraham.” Tatsächlich teilen sich hier Juden und Muslime dieses Heiligtum. So kann man, wenn man in die Synoge geht, auch den Muezzin rufen hören, weil die Moschee direkt angrenzt. Leider kommen wir nicht mehr dazu, seine Bewertung der Tatsache, dass die Siedlungen de jure laut Völkerrecht illegal sind, zu hören. Immerhin bekommen wir noch eine CD mit einer Auswahl seiner Lieder geschenkt.

Als wir die Siedlung wieder verlassen, gehe ich mit dem Gefühl hinaus, dass nach der Unterzeichnung eines Friedensvertrags die Mauern und Wachtürme nicht einfach wieder abgebaut werden können, falls eine flämische-belgische Lösung angestrebt würde. Also eine, bei der die Siedler als Israelis mit Wohnsitz im Ausland in Palästina verblieben. Die Verwerfungen, der Hass und das Misstrauen auf beiden Seiten scheinen mir zu stark als dass hier alle problemlos friedlich miteinander auskämen.

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