Am nächsten Tag fahren wir mit einem Mehrpersonentaxi nach Hebron, da aufgrund des muslimischen Ruhetags am Freitag keine Busse verkehren.

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Es ist schon eine bizarre Koinzidenz, dass die Muslime Freitag ruhen, die Juden am Samstag und die Christen am Sonntag. Würde man alle Seiten gleichberechtigt behandeln, so müsste man 3 Feiertage pro Woche postulieren. Sicher nicht zuträglich für die Produktivität, aber ein Gedanke mit dem ich mich anfreunden könnte. Aber ich schweife ab. Wir fahren also nach Hebron und Hamid begleitet uns freundlicherweise. Er weißt uns auf verschiedene Besonderheiten entlang der Fahrtroute hin. So erblickte ich in der Ferne zum ersten Mal in meinem Leben eine der illegalen israelischen Siedlungen in der Westbank. Doch ich sollte ihnen im Laufe des Tages näher kommen, als ich es jemals für möglich hielt. Die Straßen sind von Wachtürmen aus unter Beobachtung. Hier auf dem Land sind diese zusätzlich mit Betonhindernissen und Stacheldrähten abgesichert, da die Landbevölkerung eher zu Aufständen neigt, als die Stadtbevölkerung. Noch bemerkenswerter finde ich hingegen, dass die Straße, die wir befahren, sowohl von Israelis als auch von Palästinensern befahren wird. Hier kommt man also immerhin miteinander aus.

Als wir in den nördlichen Teil Hebrons kommen, warnt ein Schild, dass man nun autonomes palästinensisches Gebiet betrete und es Israelis verboten ist diese zu betreten. Wir betreten eine sogenannte “A area”. Mittlerweile komme ich auch mit der Einteilung der Westbankgebiete in “A/B/C/H1/H2 areas” zurecht. 

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Schilder, wie dieses, sind etwa an von Siedlern bewohnten Häusern und an Teilen der Mauer zu finden.

In Hebron schlendern wir ein wenig durch die recht leere 100.000 Einwohner zählende Stadt. Es ist muslimischer Ruhetag, daher die Leere. Schließlich gehen wir in die Altstadt, wo uns Hamid mit einem Schüler von ihm - Aiman - die israelischen Siedlungen mitten in der Altstadt zeigt. Dies ist, was Hebron zu einem Ort macht, der den Konflikt konkret veranschaulicht. Siedler hätten hier die ursprünglich wohnenden Palästinenser vertrieben, erläutert Aiman. Viele Läden mussten schließen, da die IDF aus Sicherheitsgründen Gebiete absperrt. Man geht durch die Altstadt und neigt man seinen Kopf ein wenig gen Himmel erblickt man Stacheldraht und Wachtürme - schon wieder ein Bild, dass sich einem einprägt und wie schierer Wahnsinn erscheint. Wer sperrt wen aus und wen ein? Hier leben Palästinenser und Siedler so nah beieinander, jedoch hermetisch abgetrennt. Israelis kämen nicht in den palästinenschen Teil erklärt Aiman. Die Gitter über den Gassen dienten zum Schutz vor Steinwürfen der Siedler, die die Häuser auf einer Seite der Gasse bewohnen. Dies komme manchmal vor, erklärt Hamid. 

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Nach einer Weile führen uns Schüler und Lehrer (Hamid und Amman) in die Wohnung eines Palästinensers, der direkt neben den Siedlern wohnt. Aiman erzählt, dass die Frau des Hausbesitzers 2008 erschossen wurde. Erst auf nachhaken unsererseits erfahren wir, dass (laut Aiman) die Frau auf das Dach des Hauses ging, um die dortigen Wasserreservoirs zu kontrollieren. Daraufhin wäre sie von israelischen Soldaten mit 5 Schüssen erschossen worden. Auch der gemeinsame Sohn sei von Soldaten angegriffen worden und habe nun ein Sehleiden. Ob sie eine Klage angestrengt haben, wollen wir wissen und erfahren, dass es versucht worden sei, aber eh zu nichts führen würde. “The high court will always be on the Israeli side” meint Aiman. Zudem meint er: “the European media is controlled by the zionist movement”, was evident eine haltlose Konspirationstheorie ist. Dennoch differenziert Aiman immerhin zwischen Zionisten und Juden. Auch das Existenzrecht Israels und die Zweistaatenlösung akzeptiert er vorbehaltlos, doch sein späteres Verhalten gibt mir Grund dies in Zweifel zu ziehen. Er könnte womöglich auch den Wolf im Schafspelz spielen und seine wahren Absichten hinter einer gemässigten Fassade verkappen. Seine manchmal platte und krude Argumentation mag vielleicht auch dem Umstand geschuldet sein, dass er die Westbank noch nie verlassen hat bzw. konnte. So versteigt sich Aiman doch tatsächlich zu dem irrwitzigen Statement Pascal gegenüber: “I study psychology, that’s why i can tell two things about you:  You are clever and you have jewish parts in your family. Or jewish cousins.”. Immerhin fügt er noch an: “ But that’s ok. I have nothing against that.”. Am Schluss unseres Besuchs erfahren wir noch, dass - wie schon in Bethlehem - der Hausbesitzer vehement Kaufangebote der israelischen Regierung verweigert. Seine Frau wurde auf dem Dach erschossen und sein Sohn wurde attackiert und dennoch wohnt der Mann weiterhin im selben Haus. Man kann ihn, ob seiner Verbissenheit bewundern oder auch bemitleiden. Ich vermag mich nicht zwischen diesen beiden Möglichkeiten zu entscheiden. Wundern sollte ich mich so oder so über eine Seite Aimans, die ich für weniger ausgeprägt hielt.

Wir planen uns zum Busbahnhof zu begeben, um wieder nach Bethlehem zu zurückzufahren. Auf dem Weg passieren wir einer in Stellung befindlicher Streitkräftedivision, die grade eine Mission ausführt. Pascal fragt einen Soldaten, ob dies eine Übung sei, was im Nachhinein eine eindeutig überflüssige Frage war, da diese sich sicherlich nicht für eine Übung in Gefahr begeben. Die Soldaten antworten auch nicht auf die Frage, sondern bedeuten uns, dass wir passieren dürfen. Wenige Meter hinter der Soldatenansammlung treffen wir Aiman wieder. Dieser und Pascal verwickeln sich in ein Gespräch, da Pascal verlangt, dass Aiman erklären soll, weshalb er zu wissen glaubt Pascal sei jüdisch. Aiman setzt ein schiefes Lächeln auf und mändert um eine ehrliche Antwort herum. Schließlich gibt er doch Preis, was seinen Wahn erklärt: Pascal stände auf der israelischen Seite. Weil Pascal im vorangegangenen Gespräch kritische Fragen gestellt hatte, lautete der simplizistische Kurzschluss nun, er wäre gegen Palästinenser. Die Schwarzweißlogik von, die hier offenbar wurde, war schon leicht beängstigend. Wer kritische Fragen stellt ist nicht für mich und somit gegen mich. Sukzessive kam mehr und mehr die absolut aberwitzige Motivation Aimans zum Vorschein. “I’m on a mission. My mission is to defend my country.”. Diese Mission habe er aus der Koranschule. Langsam bestätig ich, was ich vorher bloß ahnte. Es scheint so als ob Hamid Ausländer aufgreift, um sie von seiner Sicht des Konflikts zu überzeugen. Ich würde fast soweit gehen, dass er dies auch religiös motiviert tut. Die Disput zwischen Aiman und Pascal kulminiert dann doch tatsächlich darin, dass Aiman ihn beschuldigt ein Spion zu sein: “You come here to get information. You can tell your people we will struggle, we are strong, we don’t give up!”.

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Die nur einen Steinwurf entfernt (diese Redewendung passt erschreckend gut auf die Situation…) anwesenden Soldaten in voller Montur mit Maschinengewehren, die die Augen jedes Waffenfetischisten zum glühen brächten, bringen mich lediglich in einen nervösen Zustand. Das ist kein Spaß, diese Soldaten haben scharfe MunitionPlötzlich hebt der uns am nächstem stehende Soldat sein Maschinenpistole und zielt damit - an uns vorbei - auf etwas in die Ferne, dass ich nicht ausmachen kann. Ich Folge weiter der Auseinandersetzung mit Aiman. Als ich meinen Blick erneut schweifen lasse gewahre ich nicht unweit ein aufblitzendes gelbes T-Shirt. Es ist ein Jugendlicher, der mit einem Stein nach den Soldaten wirft. Jetzt wird mir klar, dass das Anlegen der Waffe einen konkreten Grund hatte. Die Lage wird mir langsam zu brenzlig, hier zwischen die Fronten zu geraten ist nun wirklich nicht meine Absicht.

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Ich spüre wie sich mein Puls beschleunigt, ich dränge Aiman, dessen ebenfalls anwesenden Freund und Pascal dazu, besser aufzubrechen. Aiman teilt daraufhin mit “I don’t fear them. I have five bullets in me. I would stand right before them.”. Diese Aussage stimmt mich nun noch nachdenklicher als schon der Rest sowieso. Auch sein ständiges Gefasel von seiner Mission, sein Freund-Feind-Denken und nun diese Aussage geben einen gewissen Grad des Fanatismus zu erkennen, der einem nur unheimlich sein kann. Eine gewisse geistige Schlichtheit möchte ich Aiman nicht einmal unterstellen. Wenn man den Alltag eines besetzten Landes erlebt, wenn im Umfeld Menschen sterben, wenn man das Land unmöglich verlassen kann, wenn Soldaten mit Waffen tagtäglich durch die Straßen ziehen, dann schafft dies eine gefährliche Situation, die Gefahr läuft Fanatisierung zu provozieren. Ich nehme noch das bedrückend beeindruckende Bild von der Mutter mit ihren zwei höchstens 8-jährigen Kindern mit, die die Straße entlang direkt an den Soldaten mit Waffe im Anschlag vorbeiläuft. Sie schaut die Soldaten nicht an, die Kinder ignorieren die Soldaten ebenfalls geflissentlich. Werden diese Kinder Israelis nur in Uniform kennenlernen? Diese traurige Frage stelle ich mir. All der Hass und die Bitternis, die die Besatzung nun aufstauen lässt, hoffentlich wird sie ein Friedensabkommen mit der Zeit vergessen machen können.

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<class=“caption” p>Da in Hebron für Juden eine religiöse Bedeutung hat, haben sich die Siedler hierher begeben. Hier liegen Moschee und Synagoge direkt nebeneinander

Nach diesem Tag meine ich zu verstehen, weshalb die Israelis bzw. die Siedler eine Mauer aufgezogen haben und weshalb die Palästinenser die Besetzung so emphatisch beklagen. Ganz unabhängig von dem Richtig und Falsch auf beiden Seiten.