Der “Chaos Communication Congress”  (Wiki) ist eine (in Nerdkreisen) sagenumwobene Veranstaltung, eine kunterbunte Zusammenkunft von Hackern, Bastlern, Technikaffinen und Interessierten. Einmal jährlich findet der vom Chaos-Computer-Club organisierte Kongress - nun schon seit ganzen 30 Jahren, also seit 1984 - statt. Anfänglich noch überschaubar und fast schon privat, ist der Kongress nun zu einer immensen Publikumsveranstaltung avanciert. So ist der Kongress seit dem letzten Jahr im CCH, dem Congress Center Hamburg, angesiedelt, da im vorherigen Stammplatz, dem BCC in Berlin, die Platzverhältnisse dem Besucherandrang nicht mehr gewachsen waren. Der letze Kongress in Berlin (2011) stand einem Besucherandrang von 4500 gegenüber. Der diesjährige Kongress wurde von ca. 9000! Besuchern frequentiert, was eine beträchtliche Steigerung gegenüber den 6600 Besuchern von 2012 darstellt.

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Auch von außen ganz hübsch: 30C3

Die beeindruckende Infrastruktur mit eigenem DECT-Netz, GSM-Netz und einer eigenen 100 GBit/s Internetanbindung, die die zeitweise bis zu 5000 angemeldeten WLAN-Verbindungen speisen konnte, ist eine Einmaligkeit. Nur an wenigen Orten auf der Welt dürfte es eine ähnlich schnelle Internetanbindung geben

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Schnelles Internet

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Sehr schnelles Internet

Alle Vorträge sind aufgezeichnet und frei zugänglich. Bemerkenswert ist, dass fast alle Vorträge mit Simultanübersetzung in jeweils Deutsch oder Englisch und mit Untertitelung zur Verfügung stehen. So etwas ist nur möglich, weil es ein Freiwilligensystem (Engelsystem) gab, welches auf über 1000 Freiwillige zurückgreifen konnte, die unentgeltlich den reibungslosen Ablauf der Veranstaltung in verschiedenen Bereichen sicherstellten. Nur so ist es möglich, dass die Tickets mit 80€ für eine Veranstaltung dieser Größenordnung recht erschwinglich sind. Wenn man nach günstigeren Tickets fragt, kann man auch einen Preisnachlass erhalten, wenn man nachvollziehbare Gründe angibt. So konnte ich mein Ticket für 40€ erhalten.

Auch die Übernachtungsmöglichkeiten sind für jeden Geldbeutel ausgelegt, so kann - wer möchte - sich direkt in das unmittelbar am Kongresszentrum gelegene Radisson blu einquartieren. Wem das zu teuer ist (mir!), der kann in einer von zwei zur Verfügung stehenden Turnhallen übernachten. Dort kostet die Nacht nur 5€ und als ein In­cen­tive für die Freiwilligenarbeit ist das Übernachten für Kongressteilnehmer die “engeln” grundsätzlich kostenlos. Dafür teilt man sich den Platz mit mehreren Dutzend Menschen, deren vereinzelt nachgerade stupende Schnarcherei doch ein gewisse Imposanz hat und eine subtile Faszination ausübt. Auf der anderen Seite wiederum lässt das Schnarchen das Einschlafen zur Herausforderung werden. Die Lärmbelästigung dürfte von jedem Richter als fahrlässige Körperverletzung gewertet werden. Aber weil es ja nichts gekostet hat, beschwere ich mich mal nicht weiter.

Die größte Herausforderung des Kongresses war allerdings das schnöde Auswählen der Vorträge/Workshops, die man besuchen wollte. Eine profane Angelegenheit, wie manch Einer meinen wird, jedoch auch nur, weil dieser Einer nicht den “Fahrplan”  zu Gesicht bekommen hat:

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Da kann man schon mal die Übersicht verlieren

Und das ist nur der Ablaufplan des ersten Tages. Jeden Tag aufs neue Veranstaltungen zu verpassen, weil mehrere hochinteressante Dinge parallel stattfinden, ist ein wenig ärgerlich, aber nicht zu vermeiden. Es gibt 4 “Tracks”, dass heißt es gibt immer 4 Vorträge, die zur gleichen Zeit gehalten werden. Daher bleibt einem nichts anderes übrig, als nach dem Kongress, die Video-Liste der verpassten Vorträge abzuarbeiten. Bei den Workshops gibt es so eine Möglichkeit natürlicherweise leider nicht.

Los ging es am 27.12.2013, Tag 1 begann mit dem Opening-Event:

Abgesehen von der Präsentation der opulenten Bühnentechnik, wurde in der Eröffnung das Hauptthema, die Enthüllungen rund um Edward Snowden gesetzt, welches sich wie ein roter Faden durch die gesamte Konferenz zog. Der Tenor des Opening-Events, war eine Art Schockstarre, angesichts der Offenbarwerdung des enormen Ausmaßes der flächendeckenden Überwachung. Aber auch die Aufforderung nicht in müßigen Defätismus zu verfallen und stattdessen nach Lösungen zu suchen war Teil der Botschaft.

Am Abend des ersten Tages war der Vortrag von Glenn Greenwald anberaumt. Dieser war jedoch nur über Skype zugeschaltet, da er auf Anraten seiner Anwälte vorerst auf Reisen verzichtete. In seinem emphatischen Vortrag trug dieser seine Sicht zu den Enthüllungen Snowdens vor und ging auch auf die repressiven Gegenmaßnahmen von den USA und Großbritannien ein. Auch seine Entrüstung über den Fall Manning brachte Greenwald zum Ausdruck und kritisierte den Machtmissbrauch durch Regierungen, die Whistleblower mit Gerichtsverfahren und Strafverfolgung einzuschüchtern versuchen.
Alles in allem verwischte Greenwald die Grenzen zwischen Journalismus und Aktivismus. Das er beides nicht trennscharf voneinander schied, kann man kritisch sehen, dennoch brachte Glenn Greenwald eloquent auf den Punkt, was die Konsequenzen des Snowden-Komplexes sind und welche Konsequenzen politisch gezogen werden sollten.

Besondere Erwähnung verdient der Vortrag des ehemaligen Bundesdatenschutzbeauftragten Peter Schaar, der in eine informative Präsentation mit Witz und Charme zum eher trockenem Thema Datenschutz auf die Beine stellte. Vielsagend war dabei seine Zurückhaltung während der “Q&A”, wenn es darum ging die neue Datenschutzbeauftragte Andrea Voßhoff in ihrer Eignung für das Amt zu bewerten. “Hierzu werde ich mich nicht äußern”, war alles, was ihm zu entlocken war, auch wenn es zahllose Versuche gab ihm ein konkretes Statement zu seiner Nachfolgerin zu entlocken. Insgesamt ist die Stellung des Bundesdatenschutzbeauftragten nach Schaars Lesart eine zu schwache. Zum einen ist der Bundesdatenschutzbeauftragte an das Innenministerium angegliedert (Dienstaufsicht), zum anderen verfügt er nicht über die Freiheit sein Personal eigenständig auszuwählen. Auch der Umstand, dass der Bundesdatenschutzbeauftragte wiedergewählt werden kann kritisierte Schaar. So plädierte er für eine Verlängerung der Amtszeit, bei gleichzeitigem Ausschluss einer Wiederwahl. Dadurch würde sich der Datenschutzbeauftragte nicht, um eine Amtszeitverlängerung sorgen und in der Folge entschiedener und souveräner agieren können. Aber, dass das Amt kein zahnloser Papiertiger sei, war ebenfalls den Äußerungen zu entnehmen. Am Ende des Vortrages wurde es ein wenig sentimental, als Schar stehende Ovationen für seine 10 Jahre geleistete Amtszeit erhielt. Zudem kündigte Schaar an, dass er ein Buch über seine Amtszeit schreiben wird und mit zahlreichen Vorträgen für eine Verbesserung der Stellung des Bundesdatenschutzbeauftragten eintreten wird.

Interessant war nicht nur die Vielzahl an Vorträgen, Workshops und Installationen; nein, auch die Arbeit als “Angel”, also die Tätigkeit als Freiwilliger war höchst lehrreich. Dadurch ergab sich sowohl die Möglichkeit hinter die Kulissen einer solchen Großveranstaltung zu blicken, als auch die Möglichkeit neue Menschen kennenzulernen.

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So sieht der individuelle Zeitplan aus.

Die Freiwilligenarbeit wird über eine Software, welche sich Engelsystem nennt, koordiniert. Man meldet sich an, erhält ein Umhängeschild und kann sich ab da an für Schichten eintragen. Den Anfang nahm das Ganze, als ich mich bemüßigt fühlte, mich für die Schicht mit der ominösen Beschreibung “Collect stuff for steph” einzutragen. Dabei ging es darum über das Kongresszentrum verteilte Schiebewagen einzusammeln und in die Lagerhalle zu bringen. Nicht sehr spannend, aber dadurch habe ich immerhin 2 sympathische Israelis kennengelernt und bin einmal in jede Ecke des Kongresses gekommen.

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Die nächste Schicht beinhaltete zur Unzeit in der Küche auszuhelfen, die für die Versorgung der Freiwilligen zuständig war. Ein Erlebnis, dass schon interessanter war, sich aber doch streckenweise etwas unterfordernd gestaltete.

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Zu sagen es schmeckt, wäre eine Halbwahrheit.

Wirklich überraschend war, wie viel Spaß das Arbeiten in der Bar doch macht. Die triviale Aufgabe Leuten ein Bier, eine Mate oder was auch immer zu geben und die Bezahlung zu regeln ist eine so simple und doch frappierend befriedigende Aufgabe. Natürlich kann es auch daran gelegen haben, dass die Bar in der exzeptionellen “Lounge” angesiedelt war. Dort schienen in der Planung und beim Aufbau ausnahmslos Exzentriker das Heft in der Hand gehalten zu haben. Die imposante Lichtkulisse, die kristallklare Soundanlage und die Tatsache, dass ein echter Wasserwerfer in der Lounge vorzufinden war, gaben eine eindrucksvolle Kulisse ab. Am letzen Kongresstag, gab es für die Freiwilligen, die mehr als 10h abgeleistet hatten, ein spezielles T-Shirt.

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Der Bereich des Kongresses, auf dem die meiste Interaktion und rege Betriebsamkeit vorherrscht, ist die sogenannte “assembly hall”. Dort bauen verschiedene Organisationen (Verbände, Vereine, Verbund von Menschen) eine Art Stand auf, in welchem sie an ihren Projekten arbeiten und diese auch präsentieren, Workshops anbieten und einfach offen für Fragen sind.

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Schon leckerer - kostet allerdings auch Geld

So gibt es eine “Lockpick-Base”, in welcher einem als Anfänger, die Grundfertigkeiten des Lockpickings vermittelt werden. Auch wenn die ausliegenden Schlösser noch alle recht simpel sind, ist es dennoch ein beachtliches Glücksgefühl nach einigen Minuten mit Spezialwerkzeug am Schloss nesteln, zu fühlen wie der Schließzylinder rotiert und mit einem hörbaren Klacken aufspringt. Ein Lockpickingset zu erwerben, war auch gleich möglich.

Sieht recht unspektakulär aus: Lockpicking

In der Assembly des Raumzeitlabors, konnte man nicht nur Löten erlernen, sondern sich gleich ein kleines LED-Amulett zusammenbauen. Nach länglichem dilettieren mit Lötzinn- und Kolben an den Schaltkreisen, brachte auch ich es irgendwann zustande, das Nerd-Kleinod zum Laufen zu bringen. Dank der auf dem Kongress allgegenwärtigen Hilfsbereitschaft, bekam ich nach ein wenig Herumfragen schlankweg einen halben Meter Kabel geschenkt, womit ich das Hacklace mit einem größeren Batteriepack ausstatten konnte.

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Auch nicht zu vergessen ist das sogenannte Yarn bombing/Guerilla Knitting http://de.wikipedia.org/wiki/Guerilla_Knitting, was sich reger Beliebtheit erfreute. Die dabei spontan entstandenen Strickwaren sind ein besonderer “eye catcher”, der oft erst auf den zweiten Blick auffällt.

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Insgesamt lässt sich resümieren, dass ein Besuch des “Chaos Communication Congress” auf jeden Fall ein lohnenswertes Unterfangen ist. Man lernt unglaublich viel in sehr kurzer Zeit, kommt in Kontakt mit neuen Ideen und Gedanken und nicht zuletzt gibt allein schon die einmalige Atmosphäre und Kulisse einem Grund genug, einmal vorbeizuschauen. Man trifft ausschließlich auf aufgeschlossene, hilfsbereite und mitdenkende Menschen, was für sich genommen in dieser Größenordnung auch schon ein Erlebnis ist. Oder konziser gesagt geschrieben: Wer nicht hingeht, der verpasst was!