Lebe wohl (melodramatischer Titel)
Der Rest fehlt noch… (Note to self: Restzeitraum von Mittwoch bis Montag auch noch einstellen!) Gemacht?: Nope!
Den Rest des Tages verbringe ich damit Souvenirs für die Daheimgebliebenen zu finden. Freundlicherweise helfen mir dabei Sascha, Nastya, Katya, Katya (Ja, es gibt zwei!), Mydygma und Sveta. Nach dem Abklappern der einschlägigen Geschäfte und dem Kauf zweier - an Kitsch schwerlich zu überbietender - Kühlschrankmagneten, leuchtet mir doch ein, dass es nicht die originellste Idee ist, aus China nach Russland importierte Souvenirs nach Deutschland zu nehmen, die hier den Touristen angepriesen werden, wie ehemals die Glasperlenketten den Indianern. Also dann vielleicht Lederhandschuhe denke ich, doch im Kaufhaus merke ich schnell, dass sie optisch wie preislich ihren deutschen Äquivalenten in nichts nachstehen. Daher wäre auch das wohl ein witzloser Kauf denke ich und kaufe zwei Paar. Ich frage, ob nicht russischer Wodka ein gutes Souvenir wäre, doch dieser Gedanke stößt auf geharnischte Gegenrede. Dies wäre doch zu klischeehaft und würde nur dem Stereotyp von Russland als “Wodkakonsumierende Menschen, die lustige Bärenfellmützen tragen” Vorschub leisten, heißt es. Aus Verzweiflung schlage ich vor in den Supermarkt zu gehen, um dort vielleicht noch etwas typisch russisches zu finden. Der Supermarkt ist nicht groß, ich blicke auf eingemachte rote Beete, Gewürzgurken und Dosenananas. Nicht grade sehr einzigartig. Nachdem ich den Supermarkt mit ähnlichen Ergebnissen mehrmals durchstreift habe, kommt mir plötzlich die Erleuchtung! Nicht in Deutschland zu haben. Typisch Russisch. Haltbar. Robust. Freude machend. Genial. Verboten gut. All diese Attribute treffen auf das Objekt meiner Begierde zu. Ich nehme soviel ich tragen kann in meine Arme und ende schließlich mit einer Tüte, welche so aussieht:
Nur was ist in der Tüte? Nun, die Antwort mag überraschen, aber darin befinden sich mehrere kleinere Tüten!
Nun zur Auflösung, es handelt sich bei diesen Tütchen um die Verpackungen von gerösteten Brotwürfeln - quasi Croutons -; bloß ist es so, dass diese russische Variation nicht für die Suppe oder den Salat gedacht ist, sondern direkt gegessen wird. Das Ganze gibt es in den verschiedensten Geschmacksrichtungen: Von Bacon, Hähnchen, Salami bis hin zu Barbecue und vielem mehr. Eine Investition, die sich bezahlt macht; bzw. eine, die schmeckt.
Nach dem getanen Souvenirkauf beschließen wir etwas völlig verrücktes, nämlich ein Eis zu essen. Wir setzen uns an einen Tisch, der in der Nähe eines Subways steht. Sascha, der wieder einmal mehr zur Inkarnation von Wahn-, Aber- und Irrwitz wird, sorgt für lautes Gelächter, was einen leicht unseriös wirkenden Mann in einer blauen Daunenjacke auf den Plan ruft. Der besagte Mann schaut bärbeißig drein und sagt irgendetwas auf Russisch. Mir wird erklärt, dass er gesagt hat, dass wir leiser sein sollten. Ich verstehe nicht, warum man auf einen unseriösen Mann hören sollte, nur weil man nicht hysterisch, sondern ganz normal Lacht. Auch seine markante, weil baby-blaue, Daunenjacke ändert daran nichts. Nach einer kurzen Weile sagt der Mann wieder etwas und zu meiner Überraschung stehen Alle auf und sagen mir, dass wir besser wo anders hingehen. Andere weniger moralisch und sittlich gefestigte Personen hätten womöglich nach dem Motto “Gewalt ist meine Währung und ich möchte bitte zahlen!” gehandelt, doch ich staune nur ungläubig, stehe auf und frage mich, warum alle auf diesen fremden Mann hören. Beim Gehen stelle ich fest, dass der Daunenjackenmann ganz ungeniert hinter den Subway-Tresen getreten ist und nun dort das Geld in der Kasse zählt. Verleiht ihm seine Jacke in diesem Teil der Welt etwa eine besondere Autorität will ich mich grade fragen, als mir ein Licht aufgeht. Könnte es etwa sein, dass der erlauchte Herr der Ladenbesitzer ist? Da die Evidenz bekanntlich irgendwann zur Anerkennung der Realität zwingt, rubriziere ich den Daunenjackenmann ab nun als Subwaymann.
Nach diesem Erlebnis gehen wir noch in einen Copy-Shop. Als Abschiedsgeschenk dachte ich an ein paar Kopien eines meiner Lieblingsbilder, die in Ulan-Ude entstanden sind. An einem Nachmittag, an dem ich nicht viel zu tuen hatte, habe ich so lange auf meinen Android-Smartphone an den Parametern herumgespielt, bis dabei das folgende Bild entstand:
Beim Ausdrucken kam ich mir vor, wie Andreas Gursky, nur mit dem Unterschied, dass er sich beim Druck auf die hernach folgende Millionengage freuen kann.
Langsam wurde es auch schon spät und es wurde Zeit loszugehen, um rechtzeitig zum vereinbarten Treffpunkt zu gelangen. Das letzte Treffen mit Irina, Lisa, Sascha, Oyuna und Anaida für die nächste Zeit. Da ich dem Vorschlag uns in einem Subway zu treffen nichts entgegenzusetzen hatte, verabschiedete ich mich von Sveta und Mydygma und ging zusammen mit Sascha und Katya (die zweite) zum Subway. Angekommen und während wir warten, stellen Katya und ich fest, dass wir im selben Wohnblock wohnen. Doch damit nicht genug, nein sie wohnt sogar direkt in der Wohnung unter meinen. Und trotzdem haben wir uns die letzten 3 Wochen nicht gesehen, wohl weil ich eher selten früh aufstehen musste. Als die Anderen kommen, spüre ich die in mir aufkeimende Wehmut. All diese Menschen werde ich für mindestens ein halbes Jahr nicht mehr sehen können; höchstens deren Bits und Bytes, die die 7500 Kilometer zwischen uns mühelos, in weniger als einem Wimpernschlag, zu überwinden vermögen. Ich teile meine Bilddrucke aus und versehe sie mit Widmungen. Das Reflektieren über die gemeinsame Zeit macht mich nicht grade glücklicher darüber, dass heute mein letzter Tag an diesem Ort für eine lange Zeit sein wird. Ich habe ja schon ein Abschiedsgeschenk erhalten, dennoch bekomme ich noch einen Schminkspiegel, ein Gummiband und eine alte kommunistische Schrift, die ich hoffentlich bald lesen kann:
Irgendwann muss Katya schließlich nach Hause, wir bringen sie zu ihrer Wohnung und tatsächlich: Sie wohnt nur ein Stockwerk unter meinem. Schließlich gehen wir zu Anaida und Irinas Wohnung, wobei sich Sascha am Busbahnhof, der auf dem Weg liegt verabschiedet. Da waren es nur noch drei. Die Frage ist, was ist besser? Es ist wie beim lösen eines alten Pflasters: Lieber schnell und alles auf einmal? Oder lieber langsam Stück für Stück? Den Rest des Abends versuche wir ein Video zu drehen, für das “Ask me i’m local”-Projekt an dem Anaida teilnimmt. Nach einer Weile bringe ich diesen Text zu Papier:
Hi, I’m Marcus and I’m in Germany now. I like my hometown. I like my homecity. I like my german friends and family…But, that’s not everything I have to say. Because last month I’ve been to Buryatia. I think a friend told me about this project called “Ask me, I’m local”. I wasn’t sure about this, but I’ve tried it anyway. On my second day Anaida called me and invited over to her flat, where she introduced me to her friends. Together they showed me all of Ulan-Ude. I got to learn about the students’ life, even got to visit a real russian physics lecture. Ochen’ interesno!-I can say. Anaida really helped me to immerse myself in this city unlike as a nomad tourist who will always be outstanding even after two weeks. In this time and I would never have thought that I became so fond of Buryatia, that I really want to come back. When I came to Buryatia I would never have dreamed that I would be welcomed with so much hospitality. What really made a difference was Anaida and her friends whom I want to thank from the bottom of my heart. I really think that this “Ask me, I’m local” project is something extraordinary. It is a great opportunity for intercultural exchange and that in such a personal way. I hope this concept will catch on and spread. I really like this Idea and i hope it will show many more foreigners how awesome russia is. Best regards from Germany, bye.
Jedoch wird die Aufnahme so schlecht, dass ich das ganze später in Deutschland noch einmal aufnehmen musste. Wie auch immer. Irgendwann gegen 3 fällt uns auch kein Grund mehr ein den Abschied noch weiter hinauszuzögern. Wir gehen Richtung Wohnung, auf der Hälfte der Strecke bleiben wir stehen. Wir reden solange bis wir merken, dass niemand den ersten Schritt machen will. Irgendwann macht ihn dann noch jemand, ich weiß nicht mehr genau wer. Wir sagen “Lebe wohl” (zu pathetisch?) und gehen schließlich in entgegengesetze Richtungen, nicht ohne von Zeit zu Zeit einander frenetisch zu Winken. Abschiede sind nie eine angenehme Sache.