Der österreichische Film “Atmen” aus dem Jahr 2011 von Regisseur, Drehbuchautor und Schauspieler Karl Markovics erzählt die Geschichte des 19-jährigen Roman Kogler, welcher eine Haftstrafe für einen 5 Jahre zurückliegenden Totschlag verbüßt. Seinen Ausgang nutzt Kogler, um auf Geheiß seines Bewährungshelfer eine Ausbildung anzufangen. Nach  dem Scheitern eines Versuchs, entwickelt der frustrierte Kogler Eigeninitiative und bewirbt sich bei einem Bestatter und fängt dort seine Ausbildung an. Im weiteren Verlauf des Films wird die Entwicklung von Kogler und dessen Integration in die Gesellschaft nacherzählt. Das Schöne dabei ist, dass es sich in keinster Weise um eine abgeschmackte “vom Underdog zum Helden”-Geschichte handelt, wie man sie schon in unendlichen Hollywoodstreifen zu Gesicht bekommen hat. Nein, dieser Film erzählt die Geschichte von einfachen Menschen und zeigt sehr reale Lebenswelten, die mit wenigen Ausnahmen, nicht überzeichnet sind, sondern stets authentisch bleiben. Auch der weitestgehende Verzicht auf eine musikalische Untermalung gibt “Atmen” einen dokumentarischen Charakter. Diese Authentizität verleiht dem Ganzen einen besonderen Reiz. Als Zuschauer wird man so zum Voyeur und blickt in ein anderes, wahrhaftiges Leben und nicht etwa in eine Erzählung, die nur ausmalt wie ein anderes Leben seien könnte.

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Zudem konfrontiert der Film den Zuschauer mit dem unangenehmmen Thema Tod in einer bedrückender Weise, die jedoch niemals erdrückend wird, da aufwühlende Bilder, wie die von nackten Leichen, wie im echten Leben eines Bestatters auch, nur kurze Momente, in einem Alltag eingebettet, sind. Markovics imposante Bildkomposition ist ebenfalls ein markantes Merkmal dieses Films. Die Einfachheit der Motive und Markovics zielsicherer Sinn für Ästhetik, wie ich ihn, persönlich, bisher nur von Stanley Kubrick kannte, bescheren dem Betrachter einen Strom an kraftvollen Bildern, deren Klarheit ein Erlebnis für sich sind.

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Bemerkenswert ist auch, dass die Hauprollrolle Roman Kogler nicht etwa, von einem ausgebildeten Schauspieler gespielt wird, sondern von dem, aus 300 Bewerbern gecasteten, Laiendarsteller Thomas Schubert, welcher nicht nur das tatsächliche Alter seiner Rolle hat, sondern auch keine schauspielerische Techniken, abgesehen von Basiskenntnissen in Atmung und Mimik, gelernt hat. Thomas Schubert  füllt seine Rolle voll aus und schafft es einen plastischen und lebendigen Charakter auf die Leinwand zu bringen. Auch zu erwähnen ist, dass “Atmen” der Erstlingsfilm von Karl Markovics ist, der mit diesem Film hinter die Kamera gewechselt ist und somit als Regisseur debütiert.

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Fazit: Anfängliche Skepsis, ob der Film nicht ein trockener und vollkommen düsterer Art-House-Film, der Sorte, die auf eine kleine Nische hart-gesottener Kunst-Fetischisten abzielt, ist, muss als absolut Falsch bezeichnet werden. “Atmen” erfüllt solche Befürchtungen nicht und hat seine Legion an Preisen völlig zurecht erhalten. Der Film bietet letztendlich ein hervorragend erzähltes Drama, welches auch den Wiener Schmäh nicht missen lässt. Daher und auf Grund der beeindruckenden Bildsprache, die die 90 Minuten im Kino, wie im Fluge vergehen lässt, kann ich für diesen Film eine klare Empfehlung aussprechen; zumindest für Jeden, der einen Weg abseits der abgetretenen Pfade Hollywoods betreten und sich ein wenig herausfordern möchte. Auch wenn nicht alles, was hinkt ein Vergleich ist: Dieser Film ist quasi Drive, nur noch lebensnaher.