Der heutige Dienstag (auch wenn ich das hier eigentlich retrospektiv schreibe, erwecke ich nichtsdestotrotz mal den Eindruck, alles wäre unmittelbar - wirkt halt spannender! Es ist nur ein klein wenig fake…) war der ereignisreichste - weil vielseitigste Tag - bisher. Er begann damit, dass ich leicht unausgeschlafen ins Paul-Löbe-Haus eile und den vermeintlich existenten Eingang zur Spreeseite nicht finde und einmal um den ganzen Gebäudekomplex sprinten darf.

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Der Tagesablauf

Los ging es damit, dass die Sitzung der SPD-Arbeitsgruppe für Arbeit und Soziales stattfand. Ich durfte mit Axel und Henriette, den beiden wissenschaftlichen Mitarbeitern, dem Geschehen beiwohnen. Die Themen waren breit gefächert und hauptsächlich ging es darum die morgige Ausschusssitzung vorzubereiten. Hierzu war die sozialdemokratische parlamentarischen Staatssekretärin vom BMAS anwesend (Bundesministerium für Arbeit und Soziales. Die Abgeordneten lieben Abkürzungen und bei den Ministerialbeamten schrammt es haarscharf an der Grenze zum krankhaften Fetisch vorbei!). Hauptsächlich ging es darum offene Fragen zu klären und das morgige Verhalten abzustimmen. Die anscheinend übernächtigte Staatssekretärin Anette Kramme war zu Gegen, um die Fragen der Ausschussmitglieder zu beantworten. Der volle Terminkalender von Herrn Kapschack ist ja schon beeindruckend, Frau Kramme und andere parlamentarische Staatssekretäre dürften hingegen ein noch weitreichenderes Arbeitspensum haben. Dort scheinen Überstunden mehr die Regel als die Ausnahme zu sein. Dies scheint der Preis zu sein, der mit einer hervorgehobenen Position einhergeht.

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Anette Kramme, leider auf dem unscharfen Foto weiter unten nicht zu erkennen, deshalb hier das Pressefoto vom BMAS

Auch interessant ist, wie in der Arbeitsgruppe die Landesstrukturen der SPD abgebildet werden. Und zwar entsendet jedes SPD-geführte Land einen Berichterstatter oder eine Berichterstatterin, die den AG-Sitzungen beiwohnt. So setzt sich die AG aus ca. 10 Abgeordneten und ca. 15 Landesvertretern zusammen. Zudem sind noch ca. 30 Mitarbeiter mit von der Partie.

Die Abgeordneten stellen Fragen, wie “Wie verhalte ich mich jetzt zu Thema xy?”. Beeindruckend war noch der für die “Mütterrente” verantwortliche Referatsleiter aus dem BMAS, der auch für Fragen zur Verfügung stand. Gewissermaßen einer der Spitzenbeamten Deutschlands, der den Laden Bundesrepublik Deutschland am laufen hält. Er wusste auf fast jede Frage eine wasserdichte Antwort und wirkte bescheiden, was bei seinem Wissensvorsprung und Strotzen vor Kompetenz sicherlich keine Selbstverständlichkeit ist. Hier ein kleiner Auszug aus den Themen, um die inhaltlichen Sphären einmal konkret zu illustrieren:

  • Öffentlichkeitsarbeit koste 1 Mio €
  • Probleme mit TVGG (Tarifvergabegesetz in NRW)
  • Bundesdruckerei als Klägerin vor EuGh
  • Einschätzung des Hauses “Erhebliche Probleme”
  • Stellungnahme der Bundesregierung erfordert Konsens der Ministerien
  • Finanzministerium dagegen, weil Bundesdruckerei dort angesiedelt
  • Einzige Option: Entweder negativ beantworten oder einer Bewertung enthalten
  • Mütterrente
  • Experte aus Arbeitsministerium erklärt “Mütterrente” und klärt Fragen der Abgeordneten auf
  • Deutsche Rentenversicherung kann bei Bestandsrenten Beitragsbemessungsgrenze nicht anwenden, weil es IT-technisch nicht umzusetzen ist => Pauschalierung: Ein Rentenpunkt “on top” für alle Bestandsrentner, die unter die Neuregelung fallen
  • Grund: Bemessungsgrenzen sind für jeweiliges Jahr anders als heute
  • Ungerechtigkeit/Ungleichheit, die sachlich gerechtfertigt ist
  • Verwaltungstechnische Massenabfertigung
  • 9 Mio. Akten müssten angeschaut werden => Daher ist Pauschalierung sinnvoll

Dann erwähnt die Ausschussvorsitzende Katja Mast noch, dass morgen zur Ausschusssitzung ein Kamerateam von “Panorama” (ARD-Investigativmagazin) anwesend sein wird. “Panorama ist immer fies”, wie es flapsig zu hören ist. “Aber es würde komisch aussehen, wenn keiner was sagt, am Besten einer von uns sagt was.”. Was noch auffällt ist, dass die Abgeordneten sich in ihren Redebeiträgen oft auf ihren Wahlkreis beziehen - in meinem Wahlkreis ist xy Thema, ich bekomme viele Anfragen zum Thema xy -. Man könnte sagen, die Einbindung der Bürger scheint halbwegs zu funktionieren. Natürlich ist die willkürliche Zusammensetzung der Abgeordneten für diesen Themenbereich problematisch. So erreichen Entwicklungen in den Restlichen x-hundert Wahlkreisen die Abgeordneten, die die Gesetzgebung im Bereich Arbeit und Soziales überwachen und anregen nicht unmittelbar. Überhaupt wird deutlich, dass die Kompetenz im Ministerium liegt. Die Abgeordneten selbst wären wahrscheinlich gar nicht in der Lage, einen sinnvollen Gesetzesentwurf zu entwickeln. Dies kann man bedenklich finden oder nicht, jedenfalls ist es so.

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Die Mitarbeiter und Praktikanten sind die, die ohne jegliche Körperspannung auf den Stühlen hinter den Abgeordneten herumlungern

Nach der Sitzung hat Ralf noch ein Treffen mit der Berichterstatterin für Arbeit und Soziales der NRW-Landesvertretung auf der Tagesordnung. Also gehen wir mit ihr ins “Käfer”, dem Selbstbedienungs-Restaurant im Reichstag. Das Essen kostet leider 6€, solide Hausmannskost, die schmeckt, aber keine Begeisterungsstürme entfacht. Hier speisen auch schonmal die Minister und andere Politikschwergewichte, wie ich hier einmal ganz boulevardesk anfügen möchte. Nachdem ich erfahre, dass es in der NRW-Landesvertretung in Berlin vorzügliche Übernachtungsmöglichkeiten und lukullische Buffets geben soll, geht es wieder durch die unterirdischen Gänge zum Büro. 

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Das ist ungefähr die Aussicht die man auf dem Weg vom Jakob-Kaiser-Haus zum Reichstag (Orange) und dann zum Paul-Löbe-Haus hat

Auf dem Weg weißt mich Henriette darauf hin, dass grade Renate Künast und Jürgen Tritten an mir vorbeigegangen sind. “Die gibt es ja tatsächlich alle wirklich!”, denke ich mir.

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Essen  - fuck yeah!

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Im alten Gebäude rechts ist der Sitz der parlamentarischen Gesellschaft

Im Anschluss an die Erledigung einiger Büroarbeiten darf ich mit zum parlamentarischen Mittagstisch der Parlamentarischen Linken, der Ralf angehört. Auf dem Weg zur parlamentarischen Gesellschaft, laufen wir an Sarah Wagenknecht vorbei, die vis-a-vis genau so aussieht wie im Fernsehen und grade einen Fototermin wahrnimmt. Eine beistehende Person meint dazu “Die sehen nur alle in echt viel kleiner aus, als im Fernsehen. Ursula von der Leyen geht mir bis hier (Er deutet mit seiner Handkante auf sein Kinn)”. Die parlamentarische Gesellschaft ist im ehemaligen Gebäude des Reichtagspräsidenten untergebracht und schon der Portier mit seinem extravaganten Schnurrbart macht klar, hier herrscht gediegene, englische Clubatosphäre. Hier steht nun eine Einladung der Umweltministerin Barbara Hendricks an. Diese kam dann, wie es bei den vielbeschäftigten Ministern Usus ist, auch nach einer - fast nicht mehr - kurzen Weile und referierte über ihre Pläne, Ziele und Probleme innerhalb der Koalition. Besonders brisantes Thema ist aktuell die Zulassung eines Genmaises auf EU-Ebene. “Wir kriegen immer Anträge von Grünen und Linke, die im Zweifelsfall uns vorführen und CDU/CSU nicht in Verlegenheit bringen”, ist hier und da zu hören. Konkret geht es darum, dass in der Koalition Uneinigkeit bei diese Thematik herrscht. Weil nicht alle “Häuser” (Ministerien) sich auf eine gemeinsame Position verständigen konnten, fehlt es der Regierung an Sprechfähigkeit beim Genmais. Konsequenz ist, dass Deutschland sich im Europäischen Rat bei der Abstimmung über die Zulassung des Genmaises enthalten wird und somit die Zulassung nicht verhindert wird, wie es sich die SPD- und CSU-geführten Häuser wünschen, wie es auch schon bei SPON zu lesen ist.

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Mehr schlecht als recht zu erkennen: Das fast schon livrierte Personal und Barbara Hendricks in grau vorm Fenster

Mitschrift einfügen

Als alles gesagt ist und die Veranstaltung zu Ende ist, warte ich vor der Tür auf Ralf, und bekomme schon fast einen leichten Schock, als plötzlich Barbara Hendricks vor mir steht. Mit der Zeit gewöhnt man sich daran, andauernd von Leuten umgeben zu sein, die man sich nie als reale, nahbare Menschen hat vorstellen können. Jedenfalls muss Ralf zur Fraktionssitzung und ich ins Büro. Weil Fraktionssitzungen aller Parteien zur selben Zeit stattfindet, bin ich an den Aufzügen im Reichstag wieder einmal mehr “starstruck”, Karl Lauterbach, Johanna Wanka etc. auf einem Fleck. Anschließend laufe ich - wohl, weil immer noch irritiert, leicht verstörend dreinschauend - Katrin Göring Eckardt fast über den Haufen. Dann, um diese Erfahrung reicher, geht es wieder ins Büro, wo ich erst einmal ein Protokoll schreiben darf. Nach getaner Arbeit geht es auch gleich weiter: Eine Führung durch das Kanzleramt steht auf dem Programm.

Alles fängt damit an, dass alle durch eine Sicherheitsschleuse müssen, dass heißt: Metalldetektor und Gepäckdurchleuchtung. Danach werden wir vom Wachhäuschen in einen Durchgang geleitet und befinden uns tatsächlich hinter dem Gitter des Kanzleramtes vor dem imposanten Eingang für Staatsgäste, durch den wir dann auch das Kanzleramt betreten. Die Ehrfurcht gebietende Architektur mit ihrer minimalistischen Reduktion auf Licht und Raum macht schon ganz schön Eindruck. Das sieht also eine ausländische Delegation, bevor Merkel sie unter den Tisch verhandelt. Die türkis-weiße Farbgebung wirkt zwar nicht wirklich, wie aus der Zeit gefallen, dennoch ist sie etwas kühl und nicht umbedingt behaglich. Bei der Führung durch den leutseligen Besucherbetreuer erfährt man allerhand Anekdoten aus dem Alltag der Kanzlerin, dass sie etwa nur zum Telefonieren am Kanzlerschreibtisch sitzt und ansonsten am langen Schreibtisch Platz nimmt, weil sie so direkten Kontakt zu ihrem Vorzimmer halten kann. Nach weiteren heiter-humoristischen Anekdoten und einschläfernden Fakten dürfen wir schließlich ins Herz des Hauses: dem Kabinett! Es ist fast schon irreal, dass man - trotz aller Terrorpanik - so nah an diesen wichtigen Ort darf. Eine erwähnenswerte Information ist, die Tatsache, dass man die Handschrift einer bildmediengeprägten Welt auch hier wiederfindet. So sind doch tatsächlich starke Scheinwerfer in der Decke eingelassen, die vor jeder Kabinettssitzung aktiviert werden, damit die Journalisten (Bewegt-)Bilder machen können. Das sind dann die Videoschnipsel ohne Ton, die man in der Regel in den Abendnachrichten zu sehen bekommt.

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Das schwarze Objekt ist der herunterfahrbare Scheinwerfer von dem es sicher gut 15 Stück im Kabinett gibt

Während der Kabinettssitzung herrscht allerdings ein strenges Anwesenheitsverbot. Im Gegensatz zu allen anderen Konferenzräumen, gibt es hier auch keine Mikrofone, da die Besprechungen hier vertraulich sind. Es gibt zwar ein Protokoll, was erst nach 50 Jahren publik wird, jedoch handelt es sich dabei nur um ein Ergebnisprotokoll und nicht um eine Wortprotokoll. Ein weiteres womöglich erwähnenswertes Faktum, ist die Tatsache, dass die Kanzlerin eigene Vertrauensdolmetscher hat, auf die sie für vertrauliche Gespräche immer zurückgreift. Die dürften einiges an pikanten Details zu erzählen haben. Die Vorstellung, wie so jemand die Zeitung aufschlägt, liest, was die Journalisten über einen Staatsbesuch meinen, und denkt: Alles falsch. Es war ganz anders!, ist eine irgendwie amüsante Vorstellung. Diese Dolmetscher haben in 5 Jahren sicher auf Parties in der Küche die coolsten Anekdoten zu erzählen. Die Führung endet mit einer Begehung der netten Kanzleramtsterasse.

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Böse Zungen behaupten: Sowohl Kanzlerin als auch Kanzleramt fehle es an Sexappeal

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Kreuzfahrtfeeling auf der Toilette

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Ein auf peinlichste Weise euphorischer Praktikant

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Mittig: Großer Konferenzsaal; Rechts: Mürrische Frau

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Der von innen extrem hässlige Aufzug!

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Die großzügig dimensionierte Terassentür

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Ausblick und so #swag #yolo

Unter den unzähligen Praktikanten-Facebook-Gruppen existiert unter anderem eine, welche alle Praktikanten fraktionsübergreifend vereinigt. Dort wird auch jeden Mittwoch ein Praktikantenstammtisch organisiert. Nach der Führung finde ich noch zwei Mitstreiter, die ebenfalls zum Stammtisch wollen. Also fahren wir frohen Mutes zur Oranienburger und nach einem Abstecher zu meiner persönlichen kulinarischen Neuentdeckung des Monats - einer indischen Teigtasche mit Hühnchen-, gehen wir auch schon in die Kneipe Oranium. Dort sitzen auch schon knapp ein Dutzend Praktikanten und tatsächlich: Die hemdtragenden mit Sakko und Gelfrisur sind auch tatsächlich bei der CDU. Zudem macht eine Praktikum in der Zeitschrift “Das Parlament” und eine weitere in der Verwaltung des Bundestages. Am lustigsten ist der Praktikant von Peter Altmaier, der aus dem Nähkästchen plaudert. Dafurch erfahren wir, dass der Kanzleramtsminister gerne auch mal morgens am Flughafen, Mittags und Abends zu McDonalds fährt. Auch sonst kocht Peter Altmaier für sein Leben gern. Am Ende werde ich noch in die exklusive WhatsApp Gruppe der Praktikanten aufgenommen in der man sich zum Mittagessen und Unternehmungen verabredet. Der vielsagende Gruppenname “Chabos und Babos” ist dem Wahlplakat von Jan Giersdorf dediziert.

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Wie ein Kommentator folgerichtig äusserte: “Hoffentlich klaut ihm im Stadtrat keiner die Lunchbox”